Landlust, Landidee und wie sie alle heissen – Landleben ist was anderes

Hiermit oute ich mich: ich lese auch eines dieser Hochglanzmagazine, wie sie mittlerweile zu Dutzenden in den Bahnhofskiosken und Zeitschriftenhändlern ausliegen. Da werben schöne Gärten, Landküchenrezepte und Gestaltungsideen für Heim und Hof um mich und vor allem mein Geld. Sehr oft suggerieren sie mir, dass ich gemeint wäre. Ja ICH. Es ist immer MEIN irgendwas. Mein schöner Garten, mein Heim, meine Landküche …
Und natürlich lese ich den Branchenführer, den Platzhirsch, die Mutter aller the simple life Magazine – Landlust.

Es ist nicht so, dass ich die Inhalte ernstnehme. Oder etwa die Attitüde.
Vielmehr blättere ich darin, weil ich gut gemachte Stories, unsäglichen Kitsch und hervorragende Photos zu würdigen weiß und mich über das zur Schau gestellte Landleben für Spießer amüsiere.

In diesen Magazinen und Zeitschriften wird alles mögliche vorgestellt und beschrieben, doch nie hat es etwas mit Landleben zu tun. Das ist für Leute, die Landleben spielen. Auf einem Dorf oder in einem Vorort zu wohnen, hat noch nichts mit dem Leben auf dem Lande zu tun. Die leben heute in einem Luxus und Komfort, den hatten wir zum Teil in der Neubauwohnung in der Stadt nicht.

Das Alles trifft auch auf den TV-Ableger im NDR – Mein schönes Land TV – zu.
Hier gibt es noch die Höfe und Handwerksbetriebe, die bereits in 10. Generation von der Familie bewirtschaftet oder betrieben werden. Wenn nicht gerade ausgeritten oder gekocht/gebacken wird, dann basteln die Frauen mit den Kindern hässliche Tischdekorationen mit Dingen, die man im Wald findet. Oder die Großmütter bringen den verwöhnten Studierenkeln bei, wie man einen Hefeteig ansetzt („Der muss jetzt erstmal an einem warmen Ort gehen“). Die Väter oder Großväter haben meist veschrobene Hobbies, die mal vorgestellt, mal auch verheimlicht werden (istr wahrscheinlich besser so). Im besten Falle wird im Hobbykeller oder der Werkstatt gewerkelt und Sinnloses zusammengeschraubt. Bienenhotels und Futterraufen sind sehr beliebt.
Die Frauen des Hauses betreiben ernsthaftere Hobbies wie Kartoffeldruck oder etwas anderes aus dem Bereich „Gestaltung“. Handarbeiten (Sticken, Klöppeln) oder auch Fliesenmalerei haben große Chancen, genannt zu werden.
Fragt man die Kinder/Jugendlichen, was sie am liebsten tun, kommt die Antwort aus dem Bereich Basteln, Kaninchen füttern oder Kochen mit Oma. Playstation oder Smartphone gibt es in dieser Welt nicht. Kinder, die später mal Rockmusiker oder Tätowierer werden wollen erst recht nicht. Man kann sich das richtig gut vorstellen, wie abends bei Kerzenschein mit unbehandeltem Holzspielzeug gespielt wird.

Die Familien wohnen natürlich in mindestens drei Generationen unter einem Dach. Nirgendwo gibt es Reibungsflächen in dieser heilen Welt. Alle sind so scheissfreundlich zueinander, dass es fast weh tut. Hier muss auch immer etwas vererbt werden. Tugenden oder Einstellungen. Höfe auch.

Wie man diese Kritik auch äußern kann, zeigt Fernsehkritiker Walulis mit seinem Beitrag Landstuss TV:

Selbstverständlich können diese Produkte nicht so schlecht sein, wie es meine kleine Kritik hier vermuten lässt. Sonst würde ich das ja alles nicht lesen oder schauen. Mich interessieren vor allem Reportagen über Regionen und Orte sowie Gartentips. Da ist öfter mal etwas Brauchbares dabei, auch wenn man den hinter die Hochglanzphotos blicken und den Kitsch ausblenden muss. Das ist schwer, denn ein Erfolgsfaktor von Landlust und Mein schönes Land TV ist das Verschmelzen von Interessantem mit dieser merkwürdigen Weltanschauung. Das gesamte Konzept wird bierernst durchgezogen, ohne einen Funken Selbstironie. Das ringt mir auf der einen Seite Respekt ab und auf der anderen Seite nervt es mich hochgradig.

Nein, ich rede nicht vom wirklichen, echten, wahren Landleben – weil ich nicht definieren könnte, was das heute alles umfasst. Ich weiß aber, dass es nicht das Landleben aus der besagten Zeitschrift und dieser TV-Sendung ist. Das was dort gezeigt wird, kann höchstens eine Facette oder ein Teilbereich, meinetwegen auch eine Wunschvorstellung, sein. Es kann nie alle Aspekte abbilden, aber genau das gibt es vor zu tun und blendet dabei alles andere aus. Nirgendwo kommt ein Landwirt vor, der mehr als 20 Schweine oder Rinder hält (wo kommen dann die Mengen an Fleisch her, die täglich in diesem Land verdrückt werden?), nirgendwo ein Bauer, der mehrere Hektar Land konventionell beackert. Es gibt auch nur Handwerker, die alles in Handarbeit herstellen. Jedes Stück ein Unikat!

Mir ist klar, dass man sich darüber aufregen (eher weniger) oder lustig machen (das schon mehr) kann, ohne dass das Einfluss auf irgendeines dieser Magazine oder TV-Sendungen hat. Nur soll nachher keiner sagen, er wäre nicht gewarnt worden, dass diese heile Welt nichts mit Landleben zu tun hat. Zumindest nicht in dem Maße, wie es hier vorgegeben wird.
Man kann nicht einen Hof bewirtschaften und nebenbei durch Feld und Flur stromern und dabei Bastelmaterial sammeln. Man kann auch nicht 5 Ziegen auf dem Hof halten und hoffen, mit dem aus der Milch gewonnenen Käse ein Geschäft aufzuziehen. Wenn man Millionär ist, kann das alles machbar sein.

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